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Pflastersteine gegen Stickoxide

Spätestens seit Bekanntwerden des Abgasskandals im Jahre 2015 ist das Thema „Stickoxide“ in aller Munde. Sie entstehen überall dort, wo Öl, Holz, Kohle oder Gas verbrannt werden. Nach Angaben des Umweltbundesamtes ist der Straßenverkehr mit einem Anteil von 34% der größte Verursacher von Stickoxiden. In der Stadtluft stellen Stickoxide eine große Gesundheitsgefahr dar. Verschiedene epidemiologische Studien aus aller Welt haben gezeigt, dass die örtliche Konzentration von Stickoxiden die Zahl tödlich verlaufender Schlaganfälle, Herzleiden und Atemwegserkrankungen erhöhen kann. Die Senkung der Stickoxidemissionen ist daher - insbesondere in Städten - ein zentrales Thema unserer Gesellschaft. Als besonders belastete Stadt gilt die baden-württembergische Landeshauptstadt; in Stuttgart wurde in den letzten Jahren die zulässige Dauerbelastung von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel regelmäßig und erheblich überschritten. Neben Fahrverboten trifft die Kommune weitere Maßnahmen, um die Luftbelastung nachhaltig in den Griff zu bekommen. Eine davon ist der Abbau von Stickoxiden mit Hilfe photokatalytisch aktiver Betonpflastersteine. Im Zuge der Erschließung des neuen Wohn- und Gewerbegebietes „NeckarPark“ kommt bei der Befestigung von rund 40.000 m² Fahrbahnen und Gehwegen ein spezielles Pflastersystem des Betonwerks Adolf Blatt aus Kirchheim a.N. zum Einsatz, das in der Lage ist, mit Hilfe von Sonnenlicht die Stickoxidbelastung nachhaltig zu reduzieren.

Auf der Fläche des ehemaligen Güterbahnhofs in Bad Cannstatt entsteht derzeit auf 25 Hektar das neue Wohn- und Gewerbegebiet NeckarPark. Das Areal wurde im Jahr 2000 im Zuge der Planungen für eine Bewerbung der Region Stuttgart für die Olympischen Spiele 2012 erworben; es war seinerzeit für die Errichtung des Olympischen Dorfes vorgesehen. Hieraus eröffnete sich dann die neue Perspektive, ein vielfältig genutztes und im Hinblick auf energetische und umweltpolitische Zielsetzungen vorbildliches Stadtquartier mit hoher Lebensqualität zu entwickeln. Das Energiekonzept für dieses Projekt sieht vor, dass eine möglichst umfangreiche Versorgung mit lokal vorhandenen regenerativen Energieträgern wie Solarenergie, Erdwärme oder Abwasserwärme gewährleistet wird. Durch erhöhten baulichen Wärmeschutz und Nutzung von Wärme aus Abwasser über ein Nahwärmenetz sowie mit Solaranlagen zur Stromerzeugung wird im Vergleich zu bestehenden Neubaustandards der Energieverbrauch umfassend reduziert. Weitere Ziele sind die Vermeidung des lokalen Ausstoßes von Schadstoffen und insgesamt die vorbildliche Umsetzung des Ressourcen- und Umweltschutzes.

Wegweisende Regenwasserbewirtschaftung

Zentraler Bestandteil der Planungen für das Areal ist darüber hinaus eine wegweisende Regenwasserbewirtschaftung. Dipl.-Ing. Alfred Diem vom Ingenieurbüro diem.baker aus Ditzingen schildert die Hintergründe: „Die Vorgabe lautete, mindestens 90 Prozent der Gesamtniederschläge auf dem Gebiet zu halten, um diese zu nutzen oder vor Ort zu verdunsten. Nur ein „Rest- bzw. Notablauf“ von Regenwasser soll aus dem Gebiet erfolgen. Damit soll der natürliche Wasserkreislauf soweit es geht aufrechterhalten und das Erschließungsgebiet vor übermäßigen Hitzeinseln geschützt werden“, so Diem.

Wasserdurchlässige Ausführung des Aufbaus
Zur Erfüllung dieser Anforderungen im Zuge der Flächenbefestigung entschieden sich die Planer für zwei Pflastersysteme des Betonwerks Adolf Blatt, Kirchheim am Neckar. Auf den höher belasteten Fahrbahnen kommt das System Cityblock mit dem Format 30 x 20 x 14 cm zum Einsatz, auf den Nebenstraßen und Gehwegen der Stuttgarter Sickerstein im Format 20 x 20 x 10 cm. Alfred Diem erläutert die Bauweise: „Beim System Cityblock handelt es sich eigentlich um einen ganz normalen Pflasterstein; wasserdurchlässig werden die Fahrbahnen erst durch die spezielle Bauweise. Die Fugen werden 8 mm breit ausgebildet und mit einem 1/3er Hartgesteinsplitt ohne Kalkanteil verfüllt. Für die Bettung verwenden wir das gleiche Material in 2/5 mm. Der auf den Gehwegen eingesetzte Stuttgarter Sickerstein dagegen ist aus haufwerksporigem Beton; Niederschläge versickern hier direkt durch den Stein. In beiden Fällen versickert das Wasser in die Tragschicht, die dann wie ein Regenrückhaltebecken wirkt und dafür sorgt, dass das Wasser erst zeitverzögert weiter in den anstehenden Untergrund versickert. Damit beide Steinsysteme funktionieren, wurde der gesamte Aufbau inkl. Oberbau und Tragschichten wasserdurchlässig ausgeführt. Dennoch gelangt kaum Sickerwasser in den Untergrund, da das Regenwasser als Kapilarwasser gespeichert und durch Verdunstung abgebaut wird. Für den Sickerstein beträgt die Durchlässigkeit dauerhaft mindestens 1,77 x 10 –4 m/s und liegt somit deutlich über dem geforderten Wert. Somit ist gewährleitet, dass es auch bei einem 5-jährigen Niederschlagsereignis mit einer 10-minütigen Regendauer zu keinem oberflächigen Abfluss kommt.“

Abbau von Stickoxiden durch Titandioxid in der Steinoberfläche

Die zweite Besonderheit der eingesetzten Steine liegt in ihrer Funktion zum Abbau von Stickoxiden. Hierzu Richard Beck, Projektbetreuer aus dem Hause Blatt: „Alle von uns für den NeckarPark produzierten Pflastersteine verfügen in der Vorsatzschicht über den Einsatzstoff Titandioxid. Trifft Licht auf die Pflasterflächen, kommt es sodann zu einer photokatalytischen Reaktion der Steine. In der Umgebungsluft enthaltene Stickoxide werden auf diese Weise abgebaut, wobei sich diese Reaktion beliebig oft wiederholt, da sich das Titandioxid als Katalysator selbst nicht verbraucht.“ Als Zuschlagstoff im Beton kommt hierbei der innovative Betonzusatzstoff Photoment® unserer Partner von der Powerment GmbH & Co. KG, Ettlingen, zum Einsatz; unabhängige Berechnungen der Technischen Universität Berlin haben die genannte Wirkung bestätigt. Eine mit diesen speziellen Pflastersteinen befestigte Fläche von der Größe eines Fußballfeldes kann in einer Stunde demnach rund 17g Stickoxide abbauen. Des Weiteren bewirkt die photokatalytische Reaktion auch, dass Anhaftungen, wie allgemeine Verschmutzungen oder Moosbewuchs, durch das auftreffende Wasser unterspült und somit erschwert werden. Das wirkt sich nicht nur positiv auf die Optik aus, sondern erspart auch den etwaigen Reinigungsaufwand.

Nachdem die Verlegung der Benzstraße wie auch die Herstellung der Straßen im Inneren des Areals im November 2018 abgeschlossen wurden, folgt mit dem Bau der Straßen entlang der „Grünen Mitte“ der dritte Bauabschnitt. Den letzten Abschnitt wird die Gestaltung des Quartiersplatzes vor dem Stadtarchiv bilden, die bis zum Jahr 2021 abgeschlossen sein soll. Auch dank der Reduktion der Stickoxide in der Umgebungsluft wie auch des nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftungskonzeptes entsteht hier für etwa 2.000 Menschen, die in den 450 Wohnungen ihre neue Heimat finden werden, ein sehr lebenswertes Areal.